Noch nie ist es mir so schwergefallen wie jetzt, die richtigen Worte zum Einstieg in meinen Sessionsbrief zu finden. Die Zuversicht, dass die schwerste Zeit der Coronapandemie hinter uns ist und wir mit dem Frühling in eine neue Normalität gehen können, wurde durch den Alptraum des Angriffs und des Krieges von Putin in der Ukraine jäh zerstört. Schlimmste Szenarien werden Wirklichkeit, der souveräne Staat Ukraine in einen brutalen Krieg verwickelt. Die schrecklichen Folgen der Zerstörung, riesiges menschliches Leid und unerträgliche Menschenrechtsverletzungen verfolgen uns in nächster Nähe. Zugleich bin ich beeindruckt von der grossen Solidarität und Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung.

Begonnen hatte die Session mit einer kurzfristig angesetzten Diskussion zu einer Erklärung der Staatspolitischen Kommission, dass sich die Schweiz den EU-Sanktionen anschliessen solle. Der Bundesrat hatte es knapp geschafft, die Glaubwürdigkeit der Schweiz nicht aufs Spiel zu setzen und am 28. Februar in einer Sondersitzung ebendas entschieden. Der Krieg in der Ukraine beschäftigt mich, beschäftigt uns alle sehr stark. Wir liessen uns in zwei Fraktionssitzung von profunden Kenner:innen informieren und diskutierten viel. Die Schilderungen des Schweizer Botschafters in der Ukraine, Claude Wild, der kurz zuvor in die Schweiz zurückgeholt wurde, waren eindrücklich. Wir beschäftigten uns «mit dem System Putin», der Aufnahme Geflüchteter, der Energieversorgung, den Sanktionen und Verteidigungsfragen. Unter die Haut ging das Ukraine-Forum, eine Veranstaltung mit Gästen und Berichten aus der Ukraine.

Schwierig finde ich die Aufrüstungsdebatte, die jetzt angestossen wird. Mehrfach wird die Aufstockung der Militärbudgets um weitere 2 Milliarden gefordert. Das sehe ich anders. Es fliessen genügend Mittel in die Armee, innerhalb des 5 Milliarden starken Militärbudgets braucht es Umlagerungen. Also umrüsten statt aufrüsten. Zentral ist auch, dass wir finanzielle Mittel in den schnellen Umbau unserer Energieversorgung geben. Die Unabhängigkeit von fossilen Energien, ob nun aus Russland, Saudiarabien oder Aserbeidschan, ist von grosser Bedeutung. Die Diskussion um die Gletscherinitiative und einen Gegenvorschlag dazu kam da gerade richtig. Dass wir klar entschieden haben, dass es einen Gegenvorschlag braucht, und die Gletscherinitiative nur knapp keine Mehrheit fand, zeigt die breite Erkenntnis, wie dringend dieser Umbau eingeschätzt wird und dass wir die Klimaziele erreichen müssen.

 

Unlautere Brokertätigkeit einschränken

In zwei Debatten aus dem Themenfeld der Sozial- und Gesundheitskommission ging es um die Regulierung von Vermittlungstätigkeit, also dem Agieren von sogenannten Broker:innen. Im Bereich der Krankenversicherung und der Zusatzversicherungen geht es darum, die telefonische Werbung und Akquise zu regulieren, einzuschränken und klare Ausbildungsvorgaben zu machen sowie die Höhe der Abgeltungen zu fixieren. Diese Gesetzesvorlage steht am Ende einer langen Debatte, denn die Telefonwerbung der Krankenkassen ist seit Jahren Thema. Wer kennt sie nicht, diese lästigen Telefonanrufe, wenn man beim Nachtessen sitzt! Die Vermittlungstätigkeit ist zu einem lukrativen Geschäftsmodell geworden. Aggressive Callcenter wenden oft unlautere Methoden an und setzen Druck auf, damit die Angerufenen irgendwelche Versicherungen inklusive Zusatzversicherungen unterschreiben. Mir sind verschiedene persönliche Schicksale bekannt von Menschen, die über den Tisch gezogen wurden und finanziell jahrelang dafür bezahlten. Aber die Branche hat die gesetzliche Regulierung im engeren Sinn verhindert. Es gibt nun lediglich eine Branchenvereinbarung, die der Bundesrat verbindlich erklären kann, wenn genügend Krankenversicherer die Vereinbarung unterzeichnen.

Die zweite Vorlage betrifft die Verbesserung der Aufsicht über die 1. und 2. Säule. Diverse technische Punkte waren unbestritten. Von sehr grosser Bedeutung ist die Bestimmung über die Brokertätigkeit in der beruflichen Vorsorge. Die Brokerentschädigungen kosten die Arbeitnehmenden grosse Summen an Vorsorgegeldern. Man schätzt, dass rund 200 Millionen jährlich aus dem Vorsorgetopf für als Courtagen an Broker:innen fliessen. Das soll eingeschränkt und vor allem transparenter ausgestaltet werden. Wenn bei der Auswahl der Pensionskasse eine Beratung herangezogen werden muss, ist das durchaus nachvollziehbar und oft sinnvoll. Aber nach dem Versicherungsabschluss sollen nicht mehr jährliche Entschädigungen an diese Broker:innen fliessen dürfen. Die Beratung soll abgegrenzt und separat finanziert werden. Der Bundesrat soll diesen Bereich besser regeln können. Doch es gibt riesigen Widerstand gegen die Beschneidung dieser Pfründe. Schon der Ständerat hatte die Bestimmung gestrichen. Auch im Nationalrat hatten wir keine Chance, hier einen Riegel zu schieben, trotz diverser kritischer Medienberichte im Vorfeld.

 

Zukunftsprojekt Kita-Initiative

Erfreulich war, dass wir am 8. März ein wichtiges Projekt für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Privatleben lanciert haben. Die Kita-Initiative fordert eine gute und finanzierbare Kinderbetreuung für alle. Der Bund soll sich an den Kosten beteiligen und eine maximale Belastung pro Haushalt soll definiert werden. Ich vertrete die Ostschweiz im Initiativkomitee. Zudem war ich an der Gründung von Pro Familia Ostschweiz beteiligt. Ich hoffe mit diesen zwei Projekten in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der frühen Förderung von Kindern wichtige Impulse geben zu können.

 

Eindrückliche Begegnung

Vor eineinhalb Jahren habe ich die Gefangenenpatenschaft der schweizerisch-belarussischen Doppelbürgerin Natallia Hersche übernommen, die als politische Gefangene in Belarus im inhaftiert war. Mit verschiedenen Mitteln habe ich mich für ihre Freilassung eingesetzt. Über den damaligen Schweizer Botschafter in Belarus konnte ich ihr auch einige Nachrichten übermitteln. Als die Bemühungen der Schweizer Behörden Erfolg zeigten und Natallia Hersche am 18. Februar freikam und in die Schweiz zurückreisen konnte, war das ein überwältigender Moment. Ich durfte bei ihrer Begrüssung am Flughafen dabei sein und sie kennenlernen. Ich bin von ihrer Stärke und ihrer klaren Vision sehr beeindruckt. Seither stehen wir in engerem Kontakt und ich unterstütze sie, wo immer möglich. Meine Einladung am 8. März ins Bundeshaus hat Natallia Hersche gerne angenommen. Nachdem wir noch im Januar einen offenen Brief von Frauenorganisationen und Parlamentarierinnen an den Bundespräsidenten geschickt hatten, damit er sich stärker für ihre Freilassung einsetzt, war es mir wichtig, Natallia auch mit Parlamentarierinnen zusammen zu bringen. Sie sagte schon bei ihrer Rückkehr, wie wichtig die Erfahrung aus der Schweiz und unsere Demokratie für sie sind. Sie hätten ihr die Augen geöffnet, wie ein Staat funktionieren sollte. Ihre Worte und Überzeugungen haben gerade jetzt doppelt Bedeutung. Letzten Mittwoch erlebte ich auf Einladung unserer Parlamentspräsidentin eine interessante Begegnung und Gespräch mit der belarussischen Oppositionsführerin Sviatlana Tsikhanouskaya.

 

Eingereichte Vorstösse:

22.7282 | Medizinische Versorgung für die Bevölkerung in der Ukraine sicherstellen | Geschäft | Das Schweizer Parlament

22.7255 | Verordnungsanpassung für die Bewaffnung der Zöllner:innen | Geschäft | Das Schweizer Parlament

 

Behandelter Vorstoss:

20.3722 | Umfassende Aufarbeitung von Auslandsadoptionen | Geschäft | Das Schweizer Parlament Leider wurde dieses Postulat knapp abgelehnt.

 

Sessionsthemen mit kurzen Videobeiträgen
Sessionsnews Telefonwerbung Krankenkassen
Sessionsnews Brokerentschädigungen BVG