Samthandschuhe beim Steuerbetrug, aber Kanonen beim Sozialversicherungsbetrug. So absurd entschied der Ständerat.
Im Dezember hat der ansonsten besonnene Ständerat eine weitgehende Überwachung bei Verdacht von Sozialversicherungsbetrug beschlossen. Erst in letzter Minute gelang es, die Sache in einigermassen rechtsstaatliche Bahnen zu lenken. Auch der Nationalrat muss noch darüber befinden. Blenden wir zurück: Im Oktober 2016 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz gerügt, dass es für Überwachungsmassnahmen in Fällen von mutmasslichem Sozialversicherungsbetrug keine genügende Gesetzesgrundlage gebe. Die Ständeratskommission für soziale Sicherheit und Gesundheit hat dann mittels Eilverfahren die Gesetzgebung aufgegleist. Und dabei jegliches Mass verloren.
Rechtsstaat beschädigt
Die Kommission hat drastische Massnahmen vorgeschlagen, welche die Persönlichkeitsrechte verletzen. Personen, die verdächtigt werden, zum Beispiel die IV zu betrügen, sollen ohne richterliche Anordnung überwacht werden können. Dabei können auch Bild- und Tonaufnahmen gemacht werden. Zudem sind technische Hilfsmittel wie etwa GPS-Tracker zulässig. Immer als letzte Massnahme zwar, aber ohne richterlichen Beschluss und auch auf Anordnung von Privaten. Zum Beispiel von den Krankenversicherungen.
So weit geht nicht einmal der Nachrichtendienst bei Terrorverdacht. Die Kommission scheint jeglichen Bezug zum Rechtsstaat verloren zu haben. Vergeblich kämpften unsere GenossInnen, allen voran Paul Rechsteiner, dafür, dass es für die Überwachung eine richterliche Anordnung braucht. Nach einem öffentlichen Aufschrei und Referendumsdrohungen hat dann das Ständeratsplenum den Einsatz technischer Hilfsmittel doch noch dem richterlichen Entscheid unterstellt.
Kein GPS-Tracker für Steuerbetrüger
Wie absurd und menschenfeindlich diese Gesetzgebung ist und wie unterschiedlich mit dem Verdacht auf Missbrauch umgegangen wird, zeigt der Vergleich mit der Steuerhinterziehung. Bei den Sozialversicherungen gibt es jährlich rund 250 bis 270 Überwachungen. Die Ausgaben der Versicherungen können dadurch um 4 bis 11 Millionen Franken gesenkt werde. Jedoch wurde in einem Drittel der Fälle ohne brauchbare Resultate, also völlig unnötig überwacht.
Dank einer Steueramnestie haben in den letzten sieben Jahren 90’000 Personen insgesamt 31,5 Mrd. Franken Vermögen den Steuerbehörden nachgemeldet. Aktiv danach gefahndet wurde nicht. Ausser Nachsteuern hatten diese Personen nichts zu befürchten. Der Ständerat hat im Winter 2017 eine Verschärfung des Steuerstrafrechts beerdigt. Dass das Steueramt automatisch einen Bankauszug bekommen soll, wird als Eingriff in die Privatsphäre betrachtet. Dieselben Leute finden es aber nötig und völlig okay, wenn BezügerInnen von Versicherungsleistungen mit einem GPS-Tracker verfolgt werden können und Kameras heimlich ihr ganzes Leben aufzeichnen.
Ja, so geht das bei uns. Den Staat bei den Steuern «bschiisse» ist ein Kavaliersdelikt. Bei den Sozialversicherungen hingegen darf die Privatsphäre massivst tangiert werden. Um nicht falsch verstanden zu werden: Steuer- und Sozialversicherungsbetrug sind beide verwerflich. Es sind Delikte, die geahndet werden müssen. Aber bitte sehr mit rechtstaatlichen Mitteln. Die Persönlichkeitsrechte und der Rechtsstaat dürfen nicht einfach ausgehebelt werden.
Dieser Text erschien im links 1/2018 der SP Kanton St.Gallen