«Die Abschaffung der Armee liegt ausser Reichweite»

Barbara Gysi möchte die Armee zwar weiterhin abschaffen, aber nicht jetzt. Die Vizepräsidentin der SP drängt auf einen massiven Um- und Abbau.

Mit Barbara Gysi sprach Christian Brönnimann, erschienen im Tages-Anzeiger vom 17.10.2013
 

Die SP will die Armee abschaffen. Nun machen Sie Vorschläge zu deren Umbau. Weshalb sollte man diese ernst nehmen?

Die Vision der SP zur Abschaffung der Armee steht in einem grösseren Kontext. Wir setzen uns ein für die internationale Friedenssicherung, welche die UNO beim Aufbau eines Systems der kollektiven Sicherheit unterstützt. Das ersetzt nationalstaatlich organisierte Armeen. Natürlich ist dies ein langfristiges Ziel. Bis es erreicht ist, wollen wir die Armee massiv ab- und umbauen.

Also sind Sie jetzt für den Erhalt der Schweizer Armee?

Ich stehe hinter dem Abschaffungsziel des Parteiprogramms, weil ich die Vision einer Welt teile, in der Konflikte anders gelöst werden als heute. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es aber realistischer, auf einen Ab- und Umbau hinzuarbeiten. Denn die Abschaffung liegt im Moment ausser Reichweite.

Die SP findet zurück zur Realität.

Das würde ich nicht so formulieren. Im Hier und Jetzt machten wir immer Sachpolitik. Als Motor für die alltägliche politische Arbeit braucht es aber Visionen. Diese umzusetzen, dauert. Realität ist auch, dass eine Partei nicht jeden Punkt aus dem Parteiprogramm ständig eins zu eins umzusetzen versucht.

Die Vorlage zur Weiterentwicklung der Armee sieht fast die Halbierung des Armeebestands auf 100 000 Mann vor. Weshalb geben Sie sich nicht vorerst damit zufrieden?

Weil es dank internationaler Zusammenarbeit nicht so viele Schweizer Soldaten braucht. Der Bundesrat selber ging bis vor kurzem noch von einer 80 000er-Armee aus. Inklusive der Bereitschaftsreserve wird in der Vorlage jetzt sogar mit 140 000 Mann geplant. Das ist ein Etikettenschwindel und entspricht nicht dem Parlamentsauftrag.

Auch beim Armeebudget weicht der Bundesrat von der Vorgabe des Parlaments ab, das 5 statt 4,7 Milliarden Franken möchte. Auch das ein Schwindel?

Das Parlament setzte den Betrag bloss in einem Zwischenschritt auf 5 Milliarden Franken fest, vor allem, um die neuen Kampfjets zu finanzieren. Der Bundesrat weicht aber noch in einem weiteren Punkt vom Parlamentswillen ab. 2011 hat es einen Vorstoss überwiesen, der eine verstärkte Mitwirkung der Schweiz in der europäischen Sicherheitsarchitektur fordert. Das wird in der aktuellen Vorlage komplett ignoriert. Diese isolierte Sicherheitspolitik ist nicht zukunftsträchtig. Wir sind nur von befreundeten Staaten umgeben.

Die SP schlägt vor, Waffensysteme mit Nachbarstaaten zu teilen. Wäre die Beteiligung an einer noch viel grösseren Armee wirklich besser?

Die Schweiz hat einen völlig überdimensionierten Waffenpark. Gleichzeitig ist sie zu klein, um sich im unwahrscheinlichen Kriegsfall selber verteidigen zu können. Das ergibt keinen Sinn. Eine Zusammenarbeit müsste natürlich auf allen Ebenen stattfinden, nicht nur bei der Zusammenlegung von Waffen.

Damit würde unsere Neutralität aufs Spiel gesetzt.

Allfällige Einsätze im Ausland sind ja immer von der internationalen Staatengemeinschaft abgesegnet. Damit sind sie mit der Neutralität vereinbar, gerade wenn sie im Rahmen der Friedensförderung und zugunsten der Zivilbevölkerung erbracht werden.

Für die von Ihnen propagierte 50 000-Mann-Armee bräuchte es viel weniger Rekruten. Wie können Sie so die Wehrgerechtigkeit noch garantieren?

Die Abstimmung zur GSoA-Initiative hat es gezeigt: Die Bevölkerung akzeptiert ein System, in dem die Wehrgerechtigkeit nicht gewährleistet ist. Der Grundsatz ist schon heute ausgehöhlt. Die Wehrpflicht bedeutet aber nicht, dass man unnötig viele Rekruten ausbilden soll.

Steht die Abschaffung der Wehrpflicht überhaupt noch auf der Prioritätenliste der SP?

Wir werden das Thema nicht schon bald wieder aufgreifen, das ist klar.

Die Armee möchte verstärkt zivile Behörden unterstützen und Katastrophenhilfe leisten. Weshalb sind Sie dagegen?

Will man diese Bereiche stärken, muss der Bevölkerungsschutz modernisiert werden. Für zivile Einsätze braucht es weder Uniform noch Waffen. Bei der Bevölkerung kommt es ganz schlecht an, wenn Militärpolizisten wie kürzlich in Basel Personenkontrollen durchführen. Das ist schlicht nicht die Aufgabe der Armee und widerspricht der Verfassung.

Was genau ist das Problem daran?

Es kann doch nicht sein, dass die Kantone Steuern senken, Polizeistellen streichen und dann der Bund mit Soldaten einspringen muss. Wir leben nicht in einem Militärstaat.

Sie wollen doch bloss verhindern, dass sich die Armee in sinnvollen Aufgabenfeldern positionieren kann.

Der geplante Ausbau der zivilen Tätigkeiten geschieht nur, weil man die überzähligen Armeeangehörigen irgendwo beschäftigen muss. Würde die Armee auf 50 000 Mann verkleinert, wäre das nicht mehr nötig.