Am 3. März kommt es zur Volksabstimmung über den Familienartikel. Heute haben die Befürworter das Wort, die Gegner legen ihre Argumente anfangs nächster Woche dar.

erschienen im Tagblatt, 29.1.2013

Der Verfassungsartikel zur Familienpolitik stärkt eine zeitgemässe Familienpolitik – damit Beruf und Familie gut miteinander vereinbart werden können. Die beruflichen und sozialen Rollen von Frauen und Männern und die Chancengleichheit für alle Kinder stehen dabei im Zentrum. Bund und Kantone werden verpflichtet, die Vereinbarkeit besser zu fördern.

Kinder sollen kein Armutsrisiko sein

Familien bilden unsere Gesellschaft. Jede und jeder lernt Wesentliches für das Leben in der Familie, und das soll auch so bleiben. Kinder lernen Verantwortung zu übernehmen, Gemeinsinn und Solidarität. Doch damit Familien gestärkt werden, damit sich Familien bilden können, dafür braucht es gute Rahmenbedingungen und Förderung. Und: Kinder zu haben darf kein Armutsrisiko sein. Es soll auch nicht so sein, dass man sich für Beruf oder Familie entscheiden muss. Denn längst ist es eine Realität, dass in vielen Familien beide Elternteile einer Erwerbsarbeit nachgehen (müssen).

Dennoch: Die Erwerbsarbeit von Frauen ist keine Erfindung der neueren Zeit, denn schon früher war die Arbeitskraft der Frauen unabdingbar, beispielsweise in den Bauernfamilien, aber auch in Fabriken. Verändert haben sich die Arbeitsformen, so dass es Massnahmen braucht, dass Erwerbsarbeit und Familie gut vereinbar sind. Die berufliche Aufgabe und die Sicherstellung der familiären Existenz und Vereinbarkeit mit der Erziehung und Betreuung der Kinder sind eine Kernfrage der Gesellschaft.

Über 100 000 Krippenplätze fehlen

Der Verfassungsartikel zur Familienpolitik schliesst eine Lücke in der Verfassung, denn die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist erst damit auf Verfassungsebene verankert. Der neue Familienartikel trägt den geänderten Lebensrealitäten Rechnung. Er sichert, dass sich der Bund und nachfolgend auch die Kantone stark machen für gute Bedingungen für die Familien, dass Kinder in familienergänzenden Betreuungseinrichtungen und in Tagesschulen gut betreut sind, während ihre Eltern einer Erwerbsarbeit nachgehen, ja nachgehen müssen.

Die Familienpolitik soll sich an den Bedürfnissen der Kinder ausrichten, deren gute Betreuung und Ausbildung soll gewährleistet sein, und der Bund wie auch die Kantone sollen dazu in die Pflicht genommen werden. Nach wie vor fehlen rund 120 000 Plätze in der Kinderbetreuung. Doch es braucht nicht nur genügend Betreuungsplätze, diese müssen auch gut betreut und bezahlbar sein.

Eine aktive Familienpolitik dient allen, nicht zuletzt der Wirtschaft, und ist für die Weiterentwicklung und die Zukunft unseres Landes von Bedeutung. Eine solide Familienpolitik ist die Basis für eine positive Entwicklung. Angesichts der demographischen Veränderung erhält die Familienförderung zusätzliche Bedeutung. Internationale Vergleiche zeigen uns, dass dort, wo ausreichende Angebote für familienergänzende Kinderbetreuung vorhanden sind, sind die Geburtenzahlen höher als in Ländern mit mangelnden Angeboten. Handeln ist auch bei Förderung von Teilzeitstellen für Frauen und Männer angesagt.

Familien zu wenig geschützt

Der Verfassungsartikel nimmt den Eltern nicht Verantwortung ab, ihre Kinder zu erziehen und gut für sie zu sorgen, doch er unterstützt sie dabei, ihre Aufgabe besser wahrzunehmen.

Die Wahlfreiheit wird mit dem Verfassungsartikel festgeschrieben und hochgehalten. Dies ist wichtig. Doch braucht es auch Anstrengungen, um diese Wahlfreiheit zu gewährleisten. Dann etwa, wenn sich Männer und Frauen die Erwerbs- und Erziehungsarbeit teilen wollen. Erst der Verfassungsartikel verpflichtet Bund und Kantone zwingend zum Handeln und zu einer zeitgemässen Familienpolitik. Er ist sinnvoll und nötig, weil Familien noch zu wenig umfassend in der Verfassung geschützt werden. Die Familien und Kinder sollten es uns wert sein, die Familienpolitik in der Verfassung zu verankern, denn alles, was in unserer Gesellschaft eine grosse Bedeutung hat, ist in der Bundesverfassung festgehalten.

Barbara Gysi, Nationalrätin