Hundert Jahre nach dem ersten Eintrag im Kassabuch feierte die SP-Sektion Degersheim am Samstag in kleinem Kreis ihr grosses Jubiläum. Die Zeiten haben sich geändert, nicht aber das Anliegen der Partei: Der Kampf für den sozialen Ausgleich, wie Nationalrätin Barbara Gysi sagte.
erschienen im Tagblatt vom 25.8.2014, ANDREA HÄUSLER
DEGERSHEIM. Es habe Mut verlangt, damals, zu Beginn des ersten Weltkriegs, eine SP-Sektion zu gründen, öffentlich zu seinen Idealen zu stehen, sagte die Vizepräsidentin der SP-Schweiz, Nationalrätin Barbara Gysi vor den Mitgliedern und Gästen der SP Degersheim auf dem Areal der Villa Donkey. Umso wichtiger sei das gemeinsame Feiern zum Jubiläum, der Rückblick auf das Erreichte, der Austausch. Aber auch das gegenseitige Sichstärken, denn die Entwicklungen der Gegenwart verlangten, die Errungenschaften der Vergangenheit zu verteidigen und sich den rechtskonservativen Anliegen, dem neoliberalen Umbau der Wirtschaft, dem Aushöhlen des Staates, ge- und entschlossen entgegenzustellen. Als falsche Entwicklung bezeichnete Gysi die hauptsächliche Besteuerung der Arbeit, die geringfügige des Vermögens und die Steuerfreiheit für Kapitalgewinne. «Die Schere geht auseinander.»
Entschieden sprach sie sich gegen eine Isolation der Schweiz innerhalb von Europa aus – dafür für eine «offene solidarische Gesellschaft» und das Bewusstsein, dass der Staat finanzielle Mittel braucht. Deshalb ist für sie auch klar, dass die «Erbschaftssteuer für Superreiche», die im kommenden Jahr Thema sein wird, nur ein Akt der Gerechtigkeit ist.
Ausländerfeindliche Tendenzen
Wärmende Feuer zwischen Jurten und Tipis, Country Musik, Wein und Grillwürste – zubereitet von der ehemaligen Sektionspräsidentin Rita Zuber – geselliges Beisammensein in vertrauter Runde. «Die SP ist nicht die grösste, aber eine kraftvolle Bewegung», sagte Barbara Gysi. SP-Co-Präsident Ruedi Baumann bestätigte dies: «Wir haben seit jeher rund 20 Mitglieder. Von denen aber ist ein grosser Teil aktiv und bereit, sich immer wieder für die Anliegen der Partei zu engagieren.» Gewonnene Sympathien schlügen sich, wie die Erfahrung lehrt, nicht direkt in Parteimitgliedschaften nieder, dafür in den Abstimmungs- und Wahlresultaten. Auch Baumann ist überzeugt, dass es die Anstrengungen der SP für soziale Gerechtigkeit nach wie vor braucht, und auch er äusserte sich skeptisch zu den ausländerfeindlichen Tendenzen, die selbst vor ländlichen Gemeinden wie Degersheim nicht Halt machten. «Angst machen mir weniger jene, die sich sichtbar gegen Ausländer stellen», sagte er, «als vielmehr jene, die solchen Aktionen im verborgenen ihren Applaus spenden.»
«Braun wie Kacke»
Der Berner Lyriker Christian Schrämli alias Alain Wafelmann fragte sich zwischen Lagerfeuerromantik und Geburtstagstortenschmaus, was mit unserer Zeit los ist. Weshalb Menschen im Tram – oder sonstwo – sitzen, mit sich, dem Handy, der Gratiszeitung beschäftigt, und darob den Blick für Wesentliches, für andere, für ihre Träume und Sehnsüchte verlieren und sich der Chance berauben, Geschichten zu entdecken – auch ihre eigene. Und er schaute auf Europa, die angsteinflössenden Winde; auf Gedanken, «braun wie Kacke». Noch sei es Zeit, die Segel neu zu setzen, gegen den Wind zu fahren, auf die Vergangenheit zu schauen. Wissend, dass es um Menschen geht: nie mehr ums Vergessen.
Vor dem Vergessen warnte schliesslich auch St. Gallens Stadtparlamentarierin Maria Pappa. Zudem vor dem Wegschauen von der Armut, die existiere, von Menschen, die Unterstützung brauchten und diese unter dem Deckmantel «Sparmassnahmen» zunehmend weniger gewährt bekämen.