Fritz Bichsel titelt mit „Kritik an Lohn- und Steuerpolitik“ und berichtet im Rorschacher Teil des St. Galler Tagblatts von der 1. Maifeier in Rorschach. Hier sein Text: “
Den Tag der Arbeitnehmer begeht in der Seeregion die SP. Ihre Nationalrätin Barbara Gysi aus Wil ruft auf, für mehr soziale Gerechtigkeit zu kämpfen: Gegen die Lohnpolitik von Unternehmen und die Steuerpolitik der Bürgerlichen.
Demonstration von Arbeitern und auswärtigen Provokateuren, Randale, Beschädigungen, Polizeieinsatz. Nein – das war nicht gestern, sondern an 1.-Mai-Anlässen in Rorschach vor etlichen Jahrzehnten. Der Kampf hat sich verschoben, von Forderungen an Betriebe der Region auf die kantonale und nationale Ebene, von Arbeit zu Politik. Regional sind Gewerkschaften bei uns kaum mehr organisiert. Die Tradition der 1.-Mai-Anlässe in Rorschach hält deshalb die Sozialdemokratische Partei aufrecht.
Einst Demo, jetzt geselliger Treff
Zu gemütlichem Treffen im Café Treppenhaus am Abend des 1. Mai kann Joachim Huber gegen vierzig Genossinnen und Genossen begrüssen – fast durchwegs seit vielen Jahren aktive Parteimitglieder. Als Rednerin heisst der Präsident der SP Rorschach Stadt am See eine SP-Politikerin willkommen: Barbara Gysi, St. Galler Nationalrätin und Vizepräsidentin der SP Schweiz.
Sie geht zuerst auf Arbeitsbedingungen ein, prangert eine Verschlechterung an: «Wenn eine Firma ihren Mitarbeitern zwar auf dem Papier 4000 Franken bezahlt, sie aber Ende Monat 1000 Franken zurückgeben müssen, ist das pure Ausbeutung und widerrechtlich.» Das gilt den vereinzelten Betriebe, die Grenzgängern den Lohn in Euro zahlen wegen der Frankenstärke.
Gegen Ausgrenzung und Abbau
Barbara Gysi ruft die Arbeitnehmenden auf, gemeinsam für mehr soziale Gerechtigkeit zu kämpfen – «gegen Ausnutzung und Missstände in der Schweiz, damit alle Lohnabhängigen von Produktivitätsfortschritten profitieren». Sie geht aber auch auf das ein, was vor 125 Jahren mit 1.-Mai-Anlässen lanciert wurde: eine internationale Bewegung für weltweite Solidarität. Zu «Schrecklichem an Europas Grenzen» fordert sie klare Zeichen gegen Ausgrenzung: «Wir müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen und viel mehr tun, dass es gar nicht so weit kommt.»
Besonders ärgert sich die Nationalrätin über tiefere Löhne für Frauen trotz des jahrzehntealten Verfassungsauftrags für Gleichstellung. Die Wirtschaft behalte so jährlich sieben Milliarden Franken, die Arbeitnehmenden zustünden. Zudem verstärke diese Diskriminierung von Frauen den Fachkräftemangel.
Eindringlich ruft Barbara Gysi zum Kampf «gegen die einseitige Steuerpolitik zugunsten von Reichen und Unternehmen, zulasten der normalen Arbeitnehmenden und Familien». Die St. Galler Politik habe mit Steuerwettbewerb «völlig falsche Anreize gesetzt und eine Bruchlandung produziert». Als Gegenmittel empfiehlt die Nationalrätin Ja zu einer Erbschaftssteuer für Reiche und zur kantonalen Initiative für Steuergerechtigkeit.
Nationale Themen im Zentrum
Joachim Huber sieht Barbara Gysis Analyse bestätigt in Kantonen wie Schwyz und Zug: Sie lockten mit tiefen Steuern Firmen und Reiche an, haben jetzt Defizite und kämpfen gegen den Finanzausgleich in der Schweiz.
Dieser Hinweis des regionalen SP-Präsidenten bestätigt seinerseits etwas: 1.-Mai-Anlässe haben kaum noch lokalen Bezug.“
Link zur Berichterstattung 1. Maifeier in Rorschach im St. Galler Tagblatt vom 2. Mai 2015.