Anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Frauenstimmrecht haben die SP Frauen Werdenberg eine Veranstaltung mit ehemaligen und aktiven Politikerinnen organisiert. Im Zentrum stand unsere erste St.Galler Nationalrätin Hanna Sahlfeld-Singer. Sind es aktuell 42% Frauen im Nationalrat, so waren die Anfänge harzig und widrig. Politik, Beruf und Familie noch viel schlechter vereinbar. Auch wenn das Stillzimmer im Bundeshaus nicht darüber hinwegtäuschen mag, dass es noch viele Hürden für die Frauen gibt. Hanna Sahlfeld-Singer hatte sich im Kanton als junge berufstätige Mutter und Pfarrerin für das Frauenstimmrecht eingesetzt und so war es logisch, dass sie 1971 bei den ersten Nationalratswahlen mit Frauenkandidaturen nach verschiedenen Anfragen für die SP kandidierte. Sehr erfreulich dann ihre Wahl. Sie war Nachrückerin Nationalrat Matthias Eggenberger, der im 2. Wahlgang in den Ständerat gewählt wurde.
Damit begann ein schwieriger politischer Weg in der Bundespolitik, auf dem sie bewegende Momente, Hoch und Tiefs erlebte. Hanna berichtete, dass sie freundlich willkommen geheissen worden sei von ihren Kollegen und die Frauen untereinander einen guten Kontakt pflegten. Bald habe sie wichtige Themen aufgenommen. Sie hatte sich vorgenommen die Lebensrealitäten der Frauen und Familien politisch zu benennen und sich für sozial Schwache einzusetzen. Sie brachte wichtige und zukunftsweisende Forderungen ein. So hatte sie beispielsweise in einem Vorstoss Tempo 30 gefordert, um die Sicherheit von Kindern zu verbessern. Viel später sollte es politische Realität werden. Sie berichtete, wie sie mit List und Taktik versuchte Mehrheiten zu bilden. Hanna Sahlfeld-Singer focht aber verschiedene Kämpfe aus und musste gemeinsam mit ihrem Mann Anfeindungen aus der konservativen St.Galler Öffentlichkeit erleben. Ihrer Familie wurde regelrecht die Existenzgrundlage entzogen, denn ihr Mann fand keine Anstellung mehr im Kanton St. Gallen. Vor der Wahl in den Nationalrat hatte Hanna eine Teilzeitstelle in Altstätten, ihr Mann war dort Pfarrer. Um dem Art. 75 der damaligen Bundesverfassung Genüge zu tun, wonach nur «Weltliche» in den Nationalrat wählbar seien, verzichtete sie in der Folge aufs Predigen und auf die Bezahlung. Sie kümmerte sich weiterhin als Seelsorgerin und Sozialarbeiterin um die Menschen. Ihrem Mann wurde die Arbeit immer schwerer gemacht. Hanna Sahlfeld-Singer kandidierte 1975 für eine zweite Amtszeit und wurde auch wieder gewählt. Doch sie führte ihre politische Arbeit nicht fort, sondern zog mit ihrer Familie nach Deutschland, der Heimat ihres Mannes, wo sie wieder Anstellung und Lebensgrundlage fanden. Auch über die Medien wusste Hanna nicht allzu viel Positives zu berichten, das macht sie vorsichtig bis zum heutigen Tag. Nach ihrem Rücktritt war sie nur noch einmal im Kanton St. Gallen aufgetreten, nämlich an einer 1. Mai-Feier in ihrem Heimatdorf Flawil. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir diesen Jubiläumsanlass mit ihr begehen konnten und sie in aufgeräumter Stimmung Einblick in die damalige Zeit gab.
Hanna erinnert in ihren Erzählungen auch an für sie zentrale Frauen und Wegbegleiterinnen aus St. Gallen. Susanne Steiner-Rost war für sie mit ihrer religiös-sozialen Bewegung wichtig und sie erwähnt deren Biographie „Du bist wirklich souverän“. Auch Alexa Lindner Margadant habe in der Partei viel geleistet, dass es ab 1972 viele Frauen in Ämtern gab. Sie spricht auch von Margrit Bigler-Eggenberger, unserer ersten Bundesrichterin. Mit einigen Wegbegleiterinnen hat sie bis heute Kontakt gehalten.
Ich durfte Hanna Sahlfeld-Singer bereits einige Jahre früher, anlässlich der Premiere des Films «Die göttliche Ordnung», kennenlernen. Unsere Bundesrätin Simonetta Sommaruga, in jenem Jahr Bundespräsidentin, hatte zwei der ersten Nationalrätinnen an die Solothurner Filmtage gebracht. Da habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt und mit Hanna gesprochen. Danach habe ich sie dann mehrfach im Bundeshaus getroffen und sie auch mit aktiven SP Nationalrätinnen, wie auch mit Claudia Friedl, zusammengebracht.
Ich bin immer wieder beeindruckt von ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und ihrer Präsenz und wir diskutierten einige Male über die aktuellen Gleichstellungsbemühungen, die ihr Interesse immer noch wecken. So besuchte Hanna Sahlfeld-Singer etwa gemeinsam mit ihrem jüngsten Enkel, der sie unbedingt begleiten wollte und in der Schule dafür frei bekam, die Sommer-Session 2018. Sie sassen oben auf der Ständeratstribüne– einige SP-Nationalrät*innen unten auf der Ständeratsbesucher*innenbank – als der Ständerat nach langem Ringen der Lohngleichheitsvorlage zustimmte und Lohnkontrollen für Grossunternehmen obligatorisch erklärte. Das war für uns wie für Hanna Sahlfeld-Singer ein bewegender und schöner Moment.
Viele Jahre hat sich Hanna Sahlfeld-Singer fern von der Schweizer Politik in Deutschland engagiert. Sie war als Religionslehrerin in einem Gymnasium tätig, aber vor allem aktiv in der Entwicklungszusammenarbeit. «Fairer Handel» war und ist ihr ein wichtiges Anliegen. Ihr Engagement für die sozial Schwachen zieht sich durch ihr Leben. Seit einigen Jahren kommt sie wieder regelmässiger nach Bern, wo sie unter anderem auch die Familie des einen Sohnes tatkräftig unterstützt und für die Enkelkinder da ist. Für uns die Möglichkeit den Kontakt zu halten und einiges aus ihrem politischen Leben zu hören und vor allem: Uns immer wieder vor Augen zu führen, wie wichtig Hanna Sahlfeld-Singer und unser heutiges Engagement für die Rechte der Frauen und Mütter noch 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts ist. Und dass dieses Engagement (leider) noch so nötig wie eh und je ist. So freue ich mich auf weitere Begegnungen und Gespräche mit ihr.
Dieser Text ist im links 4.2021 der SP Kanton St. Gallen erschienen.