Mogelpackung oder Allheilmittel?

Managed_Care_VorlageDie Gruppe für Innerrhoden (GfI) organisierte ein Podiumsgespräch zur Managed Care–Vorlage.

 

von monica dörig, appenzeller volksfreund, 10.5.2012

Gerade einmal ein Dutzend Interessierter haben am lauen Donnerstagabend am Podiumsgespräch zur Managed Care–Vorlage zugehört. Die Pro– und Contra–Vertreter Christian Lohr und Barbara Gysi legten ihre Argumente am von der GFI organisierten Anlass überzeugend dar.

Die Vorlage für eine gesetzlich verankerte integrierte Gesundheitsversorgung, über die am 17. Juni abgestimmt wird, ist entstanden weil man die Kostenexplosion im Gesundheitswesen in den Griff bekommen wollte. Unter anderem damit, dass die freie Arztwahl entfällt. Teure Geräte und Untersuchungen sollen nicht mehr überall zugänglich sein, sondern in Zentren. Mit dem neuen System soll zudem verhindert werden, dass die Krankenkassen versuchen, einander die jungen gesunden Mitglieder abspenstig zu machen und ältere oder chronisch kranke zu «diskriminieren». Managed Care geht weiter als das bereits weit verbreitete und erfolgreiche Hausarztmodell oder die etablierten Gemeinschaftspraxen: Krankenkassen sollen Netzwerke bilden, damit die Behandlungen von Patienten geplant und koordiniert werden, möglichst ohne Doppelspurigkeiten, die oft Kosten verursachen.Die Versicherer handeln Verträge mit Ärzten, Heimen, Spitälern, Therapeuten aus. Es müssen für einzelne Sparten, wie beispielsweise die Altersbetreuung bis zu einem Dutzend Vereinbarungen getroffen werden. Die Netzwerke sind an eine Budgetverantwortlichkeit gebunden.


Unverantwortlicher Konsum
Was den Gruppierungen, die das Referendum gegen die Abstimmungsvorlage ergriffen haben, nicht gefällt, ist dass die Krankenkassen sehr viel Macht in diesem System erhalten. In Randregionen könnte es für Patienten schwierig werden, wenn keine Netze bestehen, wenn der Vertrauensarzt nicht einem Netz angehört. SP–Nationalrätin Barbara Gysi (SG) nannte diese Gründe unter anderem dafür, dass ihre Partei, obwohl anfangs Mitstreiter für die Managed Care–Vorlage, nun ins Lager der Gegner gewechselt hat.Der Thurgauer Nationalrat Christian Lohr (CVP) betonte immer wieder, dass die Vorlage auch an die Eigenverantwortung der Patienten appelliere. Redner wie Votanten waren sich einig, dass die grössten Kostenverursacher jene Menschen sind, die von Arzt zu Arzt, von Spezialist zu Therapeut eilen, mehrere Diagnosen und Behandlungen «konsumieren».

Business–Care
Was Barbara Gysi stört, ist die Klausel, dass wer nicht einem Netzwerk angehört, einen höheren Selbstbehalt zahlen muss: 15 anstatt wie bisher 10 Prozent. Für Familien könnte das eine zusätzliche finanzielle Belastung sein. Gerade dass Menschen mit tieferem Einkommen durch das neue System nicht entlastet werden, kreidete die Nationalrätin den Gestaltern der Vorlage an.Überhaupt findet sie es unsozial, dass ein Topmanager gleich hohe Krankenkassenprämien bezahlt wie ein Handwerker. Die von Martin Pfister geleitete Gesprächsrunde driftete kurz zum Nebenschauplatz Einheitskasse ab. Der GfI–Präsident führte die rege an der Diskussion Teilnehmenden mit Schlagworten aber immer wieder zum Thema zurück. Sie lauteten etwa: «Zukunftsmedizin ist Teammedizin» oder «Bitte kein Business–Care». Für manche der Zuhörenden bedeutet der höhere Selbstbehalt nicht das Hauptargument, die Vorlage abzulehnen. Was sie sich wünschte wäre die Kontrolle der zum Teil exorbitanten Honorare der Spezialisten und eine Verschlankung der Krankenkassen–Verwaltungen. Die Gegner der Vorlage befürchten gar, dass mit dem neuen System neue Managerfunktionen entstehen, um die grossen Netzwerke zu managen.

Ja zu integralem System
Interessant wäre es gewesen, wenn Ärzte und Fachleute aus dem Gesundheitsbereich am Podium teilgenommen hätten. Ihre Sicht auf Manged Care wäre wertvoll gewesen. Die Frage, ob mit der integrierten Gesundheitsversorgung die Hausärzte gestärkt würden, bejahte Christian Lohr. Problematisch werde es, wenn der Hausarzt nicht dem Versorgungsnetz angehört, hakte Barbara Gysin nach. Dann müssen Patienten den Arzt wechseln, womöglich lange Wege in Kauf nehmen. Oder sie wechseln die Krankenkasse. Dann kann es Schwierigkeiten geben: Die Verträge können über drei Jahre bindend sein, unter Umständen müsse man sich «loskaufen», warnte Barbara Gysi. Das Wort Knebelvertrag fiel.Die Modalitäten dazu, aber auch etliche andere Details sind noch nicht restlos geklärt, was die Stimmbürger verunsichere, bestätigten sowohl Pro– als auch Contra–Vertreter. Beide stehen klar zur integrierten Gesundheitsversorgung und sind gegen eine totale Verstaatlichung des Gesundheitsmarkts. Klar ist beiden auch, dass mit Managed Care wohl weder Behandlungen noch Krankenkassenprämien billiger werden.

Keine Profit–Center gewünscht
Die Vorlage des Bundesrates bezeichnen SP, Grüne, vpod, Spezialärzte, zum Teil auch Hausärzte und die Gewerkschaften als Mogelpackung, weil Patientinnen und Ärzte der Willkür der Krankenkassen ausgeliefert würden. Sie wünschen sich eine Zurückweisung und Neugestaltung. Auch die SVP lehnt die Vorlage ab. Die Gegner befürchten zudem, dass die Gesundheitsnetze zu Profit–Centern werden, dass wenn die vorgesehen Budgetverantwortlichkeit nicht eingehalten werden kann, Patienten nicht die nötige Behandlung bekommen oder abgeschoben werden an Spitäler, die einem separten Finanzierungssystem unterstehen. Christian Lohr hielt dem entgegen, dass eine verbindlich geregelte Zusammenarbeit die Qualität der Gesundheitsversorgung und die Sicherheit für die Patienten steigere. Managed Care garantiere Zugang zu bestmöglicher Behandlung, Partizipierung am medizinischen Fortschritt. Die Vernetzung verhindere teure Leerläufe, das heisse, Kosten werden eingespart und der Prämienanstieg gedämpft.Ausserdem betonte er, dass ein funktionierendes Gesundheitssystem eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Die Vorlage sei ein wichtiger Schritt zur bedarfsgerechten finanzierbaren Gesundheitsversorgung.