Die vielfältigen, miteinander verflochtenen Krisen des frühen 21. Jahrhunderts machen einen Pfadwechsel nötig. Eine umfassende und emanzipatorische Demokratisierung, die insbesondere auch die künstliche Trennung zwischen Politik und Wirtschaft überwindet, ist ein wesentliches Element der gesellschaftlichen Transformation. Ein gutes Leben für alle und im Einklang mit der Natur ist nur dann möglich, wenn wir die Akkumulationslogik des Kapitals hinter uns lassen.

Die SP Schweiz ist sich der Notwendigkeit einer tiefgreifenden sozial-ökologischen Transformation bewusst. Im Parteiprogramm 2010 hat sie die Vision einer neuen Gesellschaftsordnung und die Forderung nach mehr Wirtschaftsdemokratie erneuert. Seit anderthalb Jahren erarbeitet eine Arbeitsgruppe konkrete Projekte und Umsetzungsmöglichkeiten. Der momentane Fokus liegt auf der Vernetzung bestehender Ansätze und Akteur_innen sowie der Kommunikation.

Angestossen werden muss ein Transformationsprozess

Das aktuelle Parteiprogramm der SP Schweiz trägt den Titel „Für eine sozial-ökologische Wirtschaftsdemokratie“. Die schweizerische Sozialdemokratie ist damit programmatisch auf der Höhe der Zeit, hinsichtlich der Realisierung steht sie aber natürlich, wie die gesamte Gesellschaft, vor riesigen Herausforderungen. Angestossen werden muss ein Transformationsprozess, der alle Ebenen unserer Gesellschaftsstruktur, das Selbstverständnis und die herrschenden Machtverhältnisse grundlegend in Frage stellt und verändert. Solche Prozesse passieren nicht über Nacht und können nicht einfach mittels Vorstosspaketen im Parlament erreicht werden, sondern nur durch langjährige Auseinandersetzung und Aufbauarbeit.

Eine breit zusammengesetzte Arbeitsgruppe der SP versucht seit eineinhalb Jahren Wirtschaftsdemokratie verständlich, im Alltag erlebbar und mit politischen Einzel-Schritten umsetzbar zu machen. Man muss dazu nicht die ganze Welt neu erfinden. Es haben sich schon immer zivilgesellschaftliche Initiativen und Unternehmen gefunden, die sich der dominanten Produktions- und Lebensweise widersetzen und die solidarisch, demokratisch und ökologisch funktionieren. An diesen Erfahrungen gilt es anzusetzen, sie müssen gestärkt und ausgeweitet werden.

Mehr Demokratie ist das Projekt fortschrittlicher Kräfte

Es geht jedoch um mehr als Wirtschaftsdemokratie im engeren Sinne. „Mehr Demokratie“ ist auch das Programm, das der Linken in der Bildung, im Sozialwesen, bei der Migration, in Sachen Europa oder im Service Public Orientierung stiften kann uns soll. Jede Vorlage soll auf diese Aspekte gescannt, und die entsprechenden Grundsätze eingebracht werden – wie jüngst bei der Vernehmlassung zur Revision des Aktienrechts. Wir dürfen den Begriff der Demokratie nicht dem vulgären Verständnis rechtsbürgerlicher Staatsabbauer und Isolationisten überlassen. Mehr Demokratie ist das Projekt der fortschrittlichen Kräfte für Freiheit, Gleichheit und Solidarität.

„Mehr Demokratie“ verlangt auch von der Sozialdemokratie einiges ab. Die SP muss zu einem wichtigen Akteur einer breiten Transformationslinken werden. Dazu braucht es innerparteiliche Debatten. Die SP-Arbeitsgruppe entwickelt ein Bildungsmodul für unsere Sektionen, an der SP-Sommeruni und weiteren Bildungsveranstaltungen wird das Thema diskutiert. Eine ganz wesentliche Rolle kommt der Kommunikation zu. Sozialer Wandel beginnt in den Köpfen und Herzen der Menschen. Eine wirtschaftsdemokratische Erzählung, ergänzt durch filmische Umsetzungselemente, gehört dazu. Gefordert ist aber auch die alltägliche Politkommunikation, bei der es um das „richtige“ Framing geht. Die Frage, ob ein Initiativprojekt der richtige Weg ist, um eine breite öffentliche Debatte im Bereich Wirtschaftsdemokratie anzustossen, wird diskutiert. Wichtige Kommunikationsereignisse sind auch Veranstaltungen. Wir wollen mit einem Positionspapier im Frühling 2016 an die SP-Delegierten gelangen. Im Rahmen des Denknetz wird gegenwärtig die Möglichkeit eines internationalen Demokratiekongresses zum Thema „Mehr Demokratie!“ im nächsten Jahr geprüft, Und bereits Ende Juni 2015 findet eine breit unterstützte Tagung zum Thema „Wirtschaft mit Zukunft“ in Biel statt.

10 konkrete Forderungen und Projekte für die Wahlen.

Die SP-Wahlplattform beinhaltet 10 konkrete Forderungen und Projekte für die Wahlen. Sie ist ein Wahlkampfinstrument und nicht Umsetzungsplattform des Parteiprogramms. Allerdings atmet sie unsere Grundhaltung „Wir kämpfen für Demokratie in allen Lebensbereichen …“. Die Forderung nach Lohngleichheit, die auch im Zentrum der Delegiertenversammlung vom 25. April stand, wurde von uns mit der Wirtschaftsdemokratie und insbesondere auch der Carethematik verknüpft.

Im Care-Bereich zeigen sich deutliche Widersprüche!

Auf einem Input der feministischen Philosophin Tove Soiland über die Ökonomisierung von Care an der SP-Fraktionstagung Anfang 2015 aufbauend, fordern wir eine bessere öffentliche Finanzierung und eine Rückverteilung der Mittel zugunsten von Care. Mit dem Care-Sektor wird ein Bereich – auch volkswirtschaftlich – immer wichtiger, in dem die Rationalisierungsmassnahmen aus der Industrie, dem Banken- und Versicherungswesen oder der IT-Branche nicht funktionieren. Lohndumping und schlechte Arbeitsbedingungen sind die einzige Möglichkeit, Care kommerziell „interessant“ zu machen. Im Care-Bereich zeigen sich deutliche Widersprüche der kapitalistischen Entwicklung, um die herum wir Widerstand mobilisieren müssen. Es braucht es eine massive Ausweitung öffentlicher oder nicht-profitorientierter Investitionen in den Care-Sektor und eine Stärkung resp. Institutionalisierung demokratischer Strukturen, z.B. über Care-RätInnen. Also genau das Gegenteil von Privatisierung und Ökonomisierung – und der damit verbundenen Abschiebung von Menschen in die IV oder die Sozialhilfe. Die dringend benötigten Mittel im Care-Bereich (u.a. für Lohnerhöhungen) sollen gezielt durch rückverteilende Steuern auf Unternehmensprofite und hohe Einkommen/Vermögen finanziert werden. Denn wer heute hohe Gewinne und Boni einstreicht, macht das nicht zuletzt auf Kosten von Frauen, die Care-Arbeit, auf die alle Menschen in ihrem Leben angewiesen sind, zu Tiefstlöhnen verrichten.

 

Dieser Artikel ist im Neue Wege 7/8 2015 erschienen.