Der Nationalrat hat heute mit einem erfreulich hohen Ja-Stimmenanteil den Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungs-Initiative gutgeheissen.

Das sind meine Worte zu dieser Vorlage. Mein Votum habe ich gestern abend spät nicht mehr gehalten, stelle es dafür ins Netz:

 

Als Sozialarbeiterin, langjährige Präsidentin einer Vormundschaftsbehörde und jetziger Präsidentin der Schweizerischen Pflegekinder-Aktion, einer Fachorganisation, die sich für gute Pflegeverhältnisse engagiert, beschäftigt mich die Situation von Menschen, die als Kinder oder Erwachsene zwangsweise fremdplatziert wurden, als Verdingkinder ausgebeutet wurden oder andere Zwangsmassnahmen erleiden mussten.

In persönlichen Gesprächen habe ich viel über ihre Leiden erfahren. Vor über zwanzig Jahren habe ich Turi Honegger kennengelernt, der als Verdingkind viel schlimmes und Ausbeutung erlebt hat und dies in zahlreichen Büchern dokumentiert hat. Von ihm habe ich viel über diese problematische und düstere Vergangenheit unserer Sozialgeschichte erfahren. Während meiner Ausbildung als Sozialpädagogin habe ich mich auch mit der Geschichte der Kinder der Landstrasse auseinandergesetzt.

Den Betroffenen ist sehr viel Leid geschehen sie haben massive Ausbeutung in verschiedenen Formen und Gewalt erfahren, mussten Zwangsarbeit verrichten, Familien wurden auseinandergerissen. Viele sind davon traumatisiert, ihr Leben wurde massiv beeinflusst und sie tragen zeitlebens eine schwere Bürde mit sich. Ihnen wurde eingeredet, sie seien schlecht, sie seien selber schuld, sie hätten nichts anderes verdient. Vielen blieb auch eine angemessene Ausbildung verwehrt, so dass sie zeitlebens nicht richtig Tritt fassen konnten. Andere haben Chancen erhalten, konnten sich aufrappeln und ihren Weg gehen. Doch auch sie tragen das Erlebte sie mit sich. Die Vergangenheit hat sie geprägt.

Das alles kann man nicht ungeschehen machen. Das ist uns allen klar.

Doch die Gesellschaft und die Politik haben einen Auftrag. Darüber zu sprechen, das Leid und das Geschehene anzuerkennen und zu verurteilen. Die offiziellen Entschuldigungen der Bundesrät/innen Etter, Widmer-Schlumpf und Sommaruga sind wichtig, genauso auch die geschichtliche Aufarbeitung.

Doch wer mit den Opfern spricht, weiss wie wichtig es ist, dass diese grossen Ungerechtigkeiten nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten anerkannt werden müssen.

Die Wiedergutmachungsinitiative fordert nun auch eine der Taten – eine marginale finanzielle Genugtuung. Ich unterstütze die Wiedergutmachungsinitiative und die Forderung nach einer Genugtuung und begrüsse es daher sehr, dass der Bundesrat mit dem Gegenvorschlag einen Weg geebnet hat, damit diese Forderung relativ rasch umgesetzt werden kann. Ob 300 oder 500 Millionen dafür eingesetzt werden sollen, darüber lässt sich diskutieren. Es ist eine Solidaritätsleistung, denn das erfahrene Leid, die verhinderten Lebensentwicklungen, können nur schwer beziffert werden. Und dennoch: für viele, zum teil hoch betagte Betroffene ist auch dieser Betrag von grosser Bedeutung, weil sie in finanziell engen Verhältnissen leben, weil er dennoch viel mehr als eine Entschuldigung mit Worten ist, weil er ein klares Zeichen ist.

Ich fordere sie darum auf, den Bundesbeschluss unbedingt zu unterstützen und diese Genugtuung zu ermöglichen.

Für mich ebenfalls wichtig ist auch, dass wir daraus lernen, heute und in Zukunft das Kindswohl ins Zentrum zu stellen, die Rechte von Kindern, von Betroffenen zu achten, sie einzubeziehen und transparent zu handeln. Das sind zentrale Werte im Kindes- und Erwachsenenschutz. Die Anhörung von Kindern hat heute einen viel höheren Stellenwert. Noch sind wir am Lernen wie das am besten altersgemäss passiert. Oft ist es auch schwierig zu entscheiden, wie dem Kindswohl am besten Rechnung getragen wird. Transparente Verfahren und Kommunikation sind dafür aber unabdingbar. Wichtig ist, dass wir Vertrauen aufbauen können. Vertrauen – das die Opfer, die wir heute bedenken leider oftmals verloren haben.