Das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative war ein Schock, auch wenn es nicht ganz unerwartet kam. Das knappe Ergebnis ist äusserst bedauerlich, muss aber akzeptiert werden. Es ist verständlich, dass die Reaktionen in alle möglichen Richtungen gingen, doch jetzt das Wenn und Aber abzuwägen bringt uns ebenso wenig weiter wie eine Wiederholung der Abstimmung vom 9. Februar. Jetzt sind erst einmal Verhandlungen angesagt und danach soll die Bevölkerung wenn nötig nochmals die Chance haben, über das Verhältnis der Schweiz zu ihren Nachbarn zu entscheiden.
Die klare Ablehnung in der Romandie, in den Wirtschaftszentren und den Städten sowie die überdeutliche Annahme im ländlichen Raum und in den Agglomerationen zeigen Gräben auf. Doch statt in diesen Gräben zu wühlen, sollten wir nach einer ersten Analyse vorwärts schauen. Wir als SP müssen uns den Fragen stellen, wie nachhaltiges Wachstum möglich ist und wie wir die Agglomerationen und Kleinstädte zurückgewinnen können. Die Ausgangslage im Hinblick auf die Umsetzung der Initiative ist denkbar schwierig, das haben die harschen Reaktionen aus der EU gezeigt. Man zollt unserer direkten Demokratie zwar Respekt, lässt aber dennoch klar durchblicken, dass sich an der Personenfreizügigkeit, dem Herzstück der EU, nicht so leicht rütteln lässt.
Der Bundesrat muss rasch mit der EU Verhandlungen aufnehmen und eine mögliche Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative vorlegen. Das wird nicht einfach sein, unter Druck erst recht nicht. Die neue Verfassungsgrundlage über die Einführung von Kontingenten mit der Weiterführung der bilateralen Verträge mit der EU zu vereinbaren, kommt der Quadratur des Kreises, vielleicht sogar einer „Mission Impossible“, gleich. Auch ist der Wählerwille nicht vollumfänglich klar. Erste Umfragen nach dem Abstimmungssonntag zeigen, dass drei von vier Schweizerinnen und Schweizer an den Bilateralen festhalten wollen. Und eine starke Schweizer Wirtschaft braucht ohnehin eine gute Anbindung an Europa. Auf der anderen Seite wird die SVP auf buchstabengetreue Umsetzung pochen.
Eine erneute, klärende Abstimmung über unser Verhältnis zu Europa ist deshalb nicht auszuschliessen, aus meiner Sicht sogar wünschenswert. Sollte tatsächlich keine Einigung mit der EU gefunden werden, muss das Volk die zentrale Frage, ob wir den bilateralen Weg mit der EU fortführen wollen, an der Urne beantworten können. Bis es soweit ist, stehen wir in einer Phase der Unsicherheit und der Verhandlungen.
Die roten Linien der SP sind klar: Wir werden keine Lösung akzeptieren, die in unserem Land eine Zweiklassengesellschaft einführt. Eine Wiedereinführung des Saisonnierstatuts oder Vorschläge seitens der Initianten, die Rechte der Zuwanderer von ihrem Einkommen abhängig zu machen, werden wir vehement bekämpfen. Die SP will nicht zurück zur Barackenschweiz und keine rechtlosen Landarbeiter, die von Ernte zu Ernte ziehen. Der Familiennachzug muss im Grundsatz allen zustehen und nicht nur für gut situierte Fachkräfte gelten.
Die SP wird auch jeden Angriff auf die flankierenden Massnahmen im Arbeitsmarkt zurückweisen. Der Schutz der Schweizer Löhne muss jetzt erst recht ausgebaut werden. Arbeitsnehmende müssen besser und nicht schlechter geschützt werden, Grenzregionen brauchen besondere Beachtung. Diese Forderungen sind zwar allesamt nicht neu, doch von entscheidender Bedeutung für die Zukunft, selbst in einem Kontingentsystem.
Doch es gibt darüber hinaus weitere innenpolitische Aufgaben zu erledigen. Wir brauchen endlich eine Raumplanung, die ihren Namen verdient, um die Zersiedelung aufzuhalten. Auch muss der Bund bezahlbaren Wohnraum fördern und die Mietspekulation eindämmen. Ohne diese inneren Reformen werden nämlich auch künftige Abstimmungen kaum zu gewinnen sein. Und das wäre sehr zu bedauern: Denn die SP will keine Schweiz, die sich abschottet und abgrenzt, sondern eine offene, solidarische und soziale Schweiz, die alle Menschen hierzulande an den Früchten des Wachstum teilhaben lässt.