Asylrecht immer wieder erkämpfen100 Tage SP AI: Öffentliche Parteiversammlung zur Migrationspolitik

Die SP AI besteht seit hundert Tagen. Dieses Kleinstjubiläum feierten die SP Mitglieder auf ihre Weise: Am Samstag diskutierte im Centro Italiano in Appenzell das heikle Thema «Migrationspolitik». Als Fachleute geladen waren Barbara Gysi, Vizepräsidentin der SP Schweiz, Carmelita Boari, Ausserrhoder Sozialberaterin und Kaspar Surber, WOZ Journalist und Buchautor.

Appenzeller Volksfreund, 22.11.2012

 

In seiner Begrüssung erklärte SP–Präsident Martin Pfister, dass nun «die Erarbeitung unseres Parteiprogrammes» beginnt. Ziel ist es, das Programm «an unserem ersten Parteitag am 17. August» zur Schlussabstimmung zu bringen. Angestrebt wird darin eine Politik für alle, eine Politik, die mehr Verteilungsgerechtigkeit bringt. «Für viele könnte vieles besser sein. Und ein paar wenige beherrschen zu viel.» Pfister forderte die Miglieder auf, sich an der Programmerarbeitung zu beteiligen. «Wir sind an frühzeitigen Rückmeldungen sehr interessiert.» Ein Thema des Parteiprogrammes wird sicher die Migrationspolitik bilden. Dieses wurde am Samstag intensiv und von verschiedenen Seiten behandelt. Die SP AI unterstützt zusammen mit fünf weiteren SP–Kantonalparteien das Referendum gegen die Revision des Asylgesetzes, was Martin Pfister mit einem Schmunzeln kommentierte: «Unseren Kanton auf der unerwarteten Seite des politischen Spektrums zu sehen und zu spüren, dass wir gemeinsam etwas bewegen können, macht Mut.»

«Bequemes» Dublin–Abkommen
Für sein Buch «An Europas Grenze: Fluchten, Fallen, Frontex» ist der Journalist Kaspar Surber nach Lampedusa, an den Gerichtshof für Menschenrechte, nach Griechenland und Warschau gereist. Dass in Lampedusa für die Flüchtlinge elende und für die Einheimischen unzumutbare Zustände herrschen, ist mittlerweise bekannt. Menschen auf der Flucht, das ist ein Kapitel zahlreicher tragischer Schicksale, man denke nur an die Bootsflüchtlinge. Und wie begegnet ihnen Europa? Im Dublin–Abkommen ist festgelegt, dass Asylgesuche in dem Land eingereicht werden müssen, das der Flüchtling zuerst betreten hat, also in den Ländern am Rand: Griechenland, Italien, Spanien. Diese Regelung ist bequem für die zentral gelegenen Länder: man kann die Asylbewerber ins Erstland zurückschicken. Von dieser EU–Regelung profitiert die ansonsten sicher nicht extrem EU–gläubige Schweiz ungeniert. Kaspar Surber plädiert denn auch für eine anteilmässig gerechte Verteilung der Flüchtlingen unter den Ländern. In Strassburg hat eine Gruppe von Bootsflüchtlingen, das heisst haben ihre Anwälte einen Prozess gewonnen: Es war Unrecht, sie nach Libyen zurückzuschicken, ohne ihnen die Chance zu geben, um Asyl zu ersuchen. Für Kaspar Surber ist klar: «Das Asylrecht muss immer wieder erkämpft werden!» Sonst wird es viel zu häufig unterlaufen und abgeschwächt, man denke nur an die Gesetzesrevision in der Schweiz. Für Surber ist Migrationspolitik ein Kampf um gleiche Rechte in einer Gesellschaft – unabhängig von Vermögen, Nationalität, Religion usw. «Wir müssen weg kommen vom Denken: Wir gegen die Ausländer!»

Verdrängungskampf
Im Zentrum der Veranstaltung stand die Debatte über das Migrationspapieres der SP. «Die Einwanderung steigt stetig an,» erklärte SP–Vorstandsmitglied Simon Schmidt, «die Schweiz braucht Arbeitskräfte, aber die Einwanderungen führen nicht selten zu einem Verdrängungskampf, zum Beispiel weil der Einwanderer aus dem Osten eine billigere Arbeitskraft ist als der Einheimische. Oder weil Wohnungen Mangelware sind usw.» Barbara Gysi, SP–Nationalrätin aus Wil, kam denn auch auf notwendige flankierende Massnahmen zu sprechen. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, wäre so eine Forderung. Im Raum schwebt der Wunsch nach einem anständigen Mindestlohn von mindestens 22 Franken in der Stunde. Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus könnte eine von mehreren notwendigen Massnahmen gegen den Mangel an bezahlbaren Wohnungen sein. Ein wichtiger und interessanter Punkt bildet die geforderte Bildungsinitiative: Immer mehr ausländische Fachkräfte «müssen importiert werden», weil in der Schweiz zu wenige ausgebildet werden.

«Gleiche Strafe für alle»
Für eine Integration «so früh wie möglich» sprach sich SP–Vizepräsidentin Mariët Baumann–Ploos aus. Den Schlüssel für eine erfolgreiche Integration bildet das Erlernen der Sprache. Im Laufe der Diskussion wurde aber auch mehrmals betont, dass man Integration nicht nur fördern sollte, sondern dass man von den Ausländenr auch einen Beitrag einfordern muss. Wichtig sind zudem verständliche Informationen, gegenseitiger Respekt und permanenter Kampf gegen Rassismus. Mariët Baumann betonte: «Je besser die Integration funktioniert, umso weniger Delikte passieren. Im Sinnne von ‹gleiche Rechte für alle› gilt dabei auch: Gleiche Strafe für alle!»

Ungleiche Lebenschancen
«Von 33 Personen lebt heute eine im Ausland. Nur die wenigsten von den Ausgewanderten haben ihre Heimat ohne äusseren Zwang verlassen», betonte Daniela Mittelholzer, ebenfalls SP–Vizepräsidentin: «Die Lebenschancen sind sehr ungleich verteilt.» Das Recht auf Migration gehört zur Freiheit eines Menschen. Aber eigentlich müsste er auch ein Recht darauf haben, nicht von Zuhause auswandern zu müssen, weil er keine Arbeit findet, die Umwelt aufgrund der Erderwärmung beängstigende Kapriolen schlägt oder weil er politisch verfolgt wird: «Niemand soll sein Land verlassen müssen, aber alle sollen es dürfen.»

Flüchtlingsbegriff nicht einschränken
Auf das Kapitel Asylpolitik im Migrationspapier der SP kam Parteimitglied Theres Inauen zu sprechen. Gefordert wird darin, dass die Flüchtlingspolitik nicht zur Arbeitskraftrekrutierung missbraucht wird. Zudem dürfe der Flüchtlingsbegriff nicht noch weiter eingeschränkt werden. Anzustreben sind im Weiteren rasche Verfahren und eine gerechte Verteilung der Asylgesuche in ganz Europa. Ein besonders heikles Problem bilden die Zwangsausschaffungen. Sie verlaufen häufig menschenunwürdig. Stattdessen sollte man vermehrt versuchen, Anreize zur Ausreise zu schaffen.

Unhaltbarer Zustand
Wie in einem Brennglas zeige sich das Migrationsproblem bei den Sans Papiers, erklärte SP–Vizepräsident Marc Hörler. Zum einen ist bei uns die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften enorm. Aber Aufenthaltsbewilligungen für Menschen von ausserhalb des EU–Raumes werden nur an hochqualifizierte Fachkräfte erteilt. Die Folgen heissen: illegale Einreisen, Sans Papiers und Schwarzarbeit. Dieser Zustand ist unhaltbar, eine Regularisierung tut not, und zwar ohne dass dabei Arbeitgeber belohnt werden, die auf Schwarzarbeit gesetzt haben. Die Lage der Sans Papiers verbessern könnte auch, wenn sie einen Abschluss machen dürfen.