Die Verhältnisse haben sich zwar verändert, aber realisiert ist die Gleichstellung keineswegs. Seit 50 Jahren können die Frauen demokratisch mitbestimmen und politische Ämter ausüben. Und das tun sie auch: Im letzten Herbst wurden so viele Frauen* wie noch nie ins nationale Parlament gewählt. Das verändert die politische Debatte und die Entscheide. Denn es wurden nicht einfach Frauen* gewählt, sondern junge Frauen*, Mütter, Unternehmerinnen, Berufsfrauen*. Was will ich damit sagen? Frauen* bringen verschiedene Lebensrealitäten ein, was die Entscheide beeinflusst. Gleichstellung ist aber nicht nur eine Frage der Repräsentanz, sondern insbesondere eine Frage des Einflusses.
Mit dem Einzug der Frauen* in die Politik nahmen Gleichstellungsthemen zusätzlich Fahrt auf. Dennoch brauchte es viel Geduld: Das neue Eherecht wurde erst 1988, die obligatorische Mutterschafsversicherung gar erst 2005. Das Gleichstellungsgesetz wurde 1995 eingeführt. Doch nicht einmal das reichte zur Umsetzung der Lohngleichheit. 2019 haben wir dann noch das Lohngleichheitsgesetz verabschiedet, das aber nur minimalste Kontrollen vorsieht.
Das ist viel Kampf für zu wenige Verbesserungen. Frauen* sind insbesondere wirtschaftlich deutlich schlechter gestellt und leisten den Grossteil der unbezahlten Arbeit. Klassische Frauenberufe sind unterbezahlt. In der Altersvorsorge klaffen riesige Lücken, weil in der 2. Säule die Betreuungs- und Erziehungsarbeit dort nicht angerechnet werden. Das führt dazu, dass Frauen, namentlich alleinerziehende Mütter, überdurchschnittlich oft auf Sozialhilfe und viele Frauen im Alter auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind.
Gleichstellungspolitik ist heute kein alleiniges Frauenthema mehr. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Frauen und Männer relevant: bessere Bedingungen für Teilzeitarbeit, höhere Löhne in Verkauf, Gastronomie, Pflege und Betreuung, aber auch bezahlbare Kitaplätze sowie die Entlastung pflegender Angehöriger nutzen allen Geschlechtern.
Fortschritte sind da: Frauen* sind heute insgesamt besser ausgebildet und machen sich in verschiedenen Domänen stärker bemerkbar. Doch der Kampf um Sichtbarkeit und Wahrnehmung geht weiter: Es gibt immer noch zu wenig Frauen* in Verwaltungsräten und Führungspositionen, zu wenig Wissenschaftlerinnen in der Task Force, zu wenig Frauen als Professorinnen und Chefärztinnen. Der Weg ist noch nicht zu Ende. Wir gehen vorwärts, Schritt für Schritt.