Rede gehalten von Barbara Gysi, Wil, Stadt- und Kantonsrätin, SP, auf der Flawiler Egg

Rede gehalten von Barbara Gysi, Wil, Stadt- und Kantonsrätin, SP, auf der Flawiler Egg

 

 

1. August – Wir feiern den Geburtstag der Schweiz, unseren Nationalfeiertag. Wir freuen uns und feiern, und zwar all jene, die hier leben, denen die Schweiz Heimat ist und einfach die, die feiern wollen. Zeit sich ein paar grundlegende Gedanken zu erlauben.

 

Der 1. August ist ein Tag, sich auf die eigenen Werte zu besinnen, darauf, was uns, unsere Gesellschaft ausmacht. Ich denke, es ist wichtig, die eigenen Wurzeln zu kennen, wissen wer man ist, um Boden unter den Füssen zu haben, um sich auch mit anderem und anderen auseinandersetzen zu können. Wenn man das Eigene zu wenig kennt, kann man leicht Ängste schüren, und das wird leider viel zu oft gemacht.

 

Was macht die Schweiz aus ?

Ist es unser Käse, Schokolade, sind es unsere Berge, rote Wandersocken, Fahnenschwingen oder gar das Bankgeheimnis ?

 

 

Sind es nicht vielmehr auch die Menschen, die hier leben mit ihren Eigenheiten und Traditionen, die wir über all die Jahrhunderte entwickelt haben ? Es sind nicht in erster Linie der Rütlischwur 1291 oder die Gründung des Bundesstaates 1848, sondern das, was wir alle daraus gemacht haben, was die Schweiz ausmacht.

Wir, mit unseren Werten, auch wenn diese teilweise verschieden sein mögen. Wir alle mit unseren Taten, unserem Tun.

Ich bin überzeugt, dass viel von der Schweiz das ausmacht, was wir sind und wer wir sind. Wir alle prägen die Schweiz – und verändern sie auch. Sicher das Leben in der Schweiz, SchweizerIn sein prägt uns auch. Aufzuwachsen mit der Selbstverständlichkeit von Sicherheit und Wohlstand, der freien Meinungsäusserung und einer vielfältigen und direkten Demokratie. Dieses Selbstverständnis prägt – und dem sollen wir auch Sorge tragen.

 

Die Schweiz ist vielseitig, die Schweiz ist ein Zusammenwirken verschiedener Menschen und Kulturen mitten im Herzen Europas. Nur schon die Vielfältigkeit der ursprünglichen Schweiz mit 4 Landessprachen, mit unterschiedlichen Landschaften und daraus entstandener Mentalitäten. Aber auch die Zuwanderung und Auswanderung von AusländerInnen und SchweizerInnen.

 

Das bedeutet, dass sich die Schweiz verändert – auch wenn diese Veränderungen nicht für alle einfach sind, sich einzelne auch damit und mit Veränderungen generell schwertun.

 

Dies sind Realitäten, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Die Schweiz ist keine Insel, wir sind ein Teil Europas, agieren in einer globalisierten Welt – ohne die Menschen um uns herum/mit uns, ginge es uns auch nie so gut, wie es uns heute geht. Das sollten wir nicht vergessen.

 

Offenheit und Auseinandersetzungswille sind meines Erachtens Pflicht.

 

Die SchweizerInnen – ein Volk von WandererInnen ? ist nicht auch das Wandern ein „Volkssport“, sogar mit steigender Beliebtheit.

 

Berg-Wandern, das tue ich mit Leidenschaft, gerade wieder haben wir wunderbare Bergtäler und Pässe in unseren Alpen durchwandert. Wir stiessen dabei auch auf Alpen und in Tälern im Bleniotal, in denen der Wanderungsbegriff noch eine andere Bedeutung hat, Abwanderung. Gewisse Gegenden entleeren sich, das passiert nicht nur in Südbünden oder im Tessin, auch im Kanton St. Gallen gibt es Gebiete, in den mehr Leute weg- als zuziehen.

Wir kennen also verschiedene Wanderungsbegriffe, im wahren und übertragenen Sinne.

Auswandern (zb. nach Nord- und Südamerika, Australien, übriges Europa)

Aber auch

Zuwanderung, aus dem EU-Raum und der übrigen Welt

 

Wir sind fast alle davon betroffen. Wer von uns Einheimischen hat nicht eine Verwandte FreundInnen, die ein- oder ausgewandert sind. In früheren Zeiten oder ganz aktuell.

Ich bin da eine ganz typische Schweizerin. Meine Grossmutter ist aus dem Schwarzwald in die Schweiz gekommen, nicht von weither, aber aus wirtschaftlicher Not. Andere Verwandte von mir sind vor knapp hundert Jahren, nach Nordamerika ausgewandert – auch aus wirtschaftlicher Not. Mein Bruder lebt seit vielen Jahren in Deutschland.

 

Meist sind es wirtschaftliche Gründe, oft auch politische, wenn wir an die Flüchtlinge, politisch Verfolgten denken. Aber fast immer verbunden mit der Hoffnung auf ein anständiges, auf ein besseres Leben vor Augen.

 

Nicht alle beurteilen die Wanderungsbewegungen positiv. Denken Sie daran, hinter jedem Weggehen und Ankommen steht auch eine persönliche Geschichte, oftmals mit Leid verbunden.

Für eine Gesellschaft, so auch für uns sind Wanderungsbewegungen aber auch Chancen, Chancen für eine Entwicklung. Doch sie fordern eine Gesellschaft und jedeN einzelneN. Sich mit Veränderungen, mit Neuem auseinanderzusetzen. Diejenigen, die aktiv wandern viel mehr wie die Einheimischen. Aber wir alle sind betroffen.

 

Wanderbewegungen gab es immer, wird es auch immer geben. Wie schon gesagt: Wanderungsbewegungen haben politische aber sehr oft wirtschaftliche Ursachen.

Flüchtling oder ArbeitsmigrantIn – das wird heute genauestens unterschieden. Nicht immer und nicht alle wurden und werden mit offenen Armen aufgenommen.

 

Doch denken wir daran. Rund 700‘000 SchweizerInnen leben ausserhalb der Schweiz – das sind viele. Auch sie haben verschiedene Gründe gehabt auszuwandern, einige werden auch wieder zurückkommen und wieder hier leben – oder kommen immer wieder auf Besuch, ermöglichen ihren Kindern, die Schweiz, ihr Ursprungsland kennenzulernen.

Das ist gut so, das sollten wir aber auch denjenigen Menschen zugestehen, die hiergekommen sind. Nur wer seine eigenen Wurzeln kennt, kann sich auch an einem neuen Ort gut integrieren. Das ist kein Widerspruch, sondern eine Voraussetzung.

 

Denn was haben Bogotà, Prag, New Glarus und Flawil heute gemeinsam – überall da wird der 1.August, unser Nationalfeiertag, gefeiert.

 

Denn, wer auswandert nimmt ein Stück Heimat mit, nimmt gewisse Traditionen mit.

Und: Wer zuwandert, bringt etwas mit.

Zugewanderte haben uns neue Sachen gebracht, die zum Teil sogar zu Traditionen werden und die wir schätzen. Das ist schön und auch gut so. Unser Reichtum und Wohlstand beruhen zu einem grossen Teil auch darauf, dass die zugewanderten Menschen uns ihre Arbeitskraft zu Verfügung stellen, und dies oftmals noch zu nicht allzuguten Löhnen. Sie tragen unsere Gesellschaft und unsere Sozialwerke mit, sie tragen unsere Wirtschaft mit. Unser Wohlstand beruht aber auch nicht zuletzt auf der Tatsache, dass wir Handel betreiben mit dem Ausland.

 

Zum 1. August möchte ich Ihnen einen Gedanken zur gemeinsamen Gesellschaftsentwicklung mitgeben.

 

Ich bin überzeugt, dass wir uns nur gemeinsam weiterentwickeln können, nämlich dann wenn wir aufeinanderzugehen, auch miteinander und aufeinander schauen. Gemeinsam sind wir stark, nicht wenn jeder nur für sich schaut, wenn wir uns abschotten. Und zwar im kleinen wie im grossen, das heisst im Quartier, im Dorf, aber auch national und international. Es braucht mehr Solidarität innerhalb der Gesellschaft. Mit einem offenen Umgang im Nahen bringt uns das viel. Auch Verständnis für anderes. Das bedeutet mit unseren NachbarInnen reden, nicht über sie. Die Nachbarschaftshilfe pflegen. „Mitenand und fürenand“.

 

In der Schweiz ist es zum Glück so, dass man die eigene Meinung offen sagen kann, diesen Wert der Demokratie müssen wir hoch halten und bewahren, dürfen wir uns von niemandem nehmen oder kaputt machen lassen. Diskussionen führen, einen breiten Diskurs, doch immer sollten wir unser Gegenüber akzeptieren. Überzeugen aber nicht indoktrinieren, gemeinsam Lösungen suchen.

Wir sollten uns aber auch nicht unnötige Ängsten einjagen lassen. Angst, dass Neues oder Fremdes uns schaden könnte, wir müssen vielmehr damit einen Umgang finden – es kennenlernen. Abschottung nützt uns nichts. Wir leben und arbeiten in einer vernetzten Welt – dessen müssen wir uns bewusst sein, wir sollen unsere Werte kennen, aber nicht einschliessen.

 

Solidarität und Toleranz miteinander ist ein wenig mehr „Für alle statt für wenige“ – in diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen 1. August 2011.