Die SP Toggenburg und die SP Wil fanden sich zum gemeinsamen Brunch auf dem Weidhof in Oberhelfenschwil. Barbara Gysi erzählte dabei, wie es ihr als «Anfängerin» geht.

Alttoggenburger vom 28.8.2012, Cecilia Hess-Lombriser

Alttoggenburger_20120828

 

Oberhelfenschwil  –  Die  Parteikolleginnen  und  -kollegen  aus  Wil  zeigten sich am Sonntagmorgen sportlich. Vom Bahnhof Dietfurt wanderten sie mit den Toggenburgern  hinauf  zum  Weidhof, wo  sie  unter  dem  Scheunendach der Familie Fritz und Alexandra Roth ein reichliches Frühstück genossen. Reichlich wird auch Barbara Gysi, seit Dezember 2011 Nationalrätin, mit Unterlagen und Dossiers eingedeckt, seit sie als Nachfolgerin von Paul Rechsteiner Bundespolitik betreibt. Davon und von ihren ersten Erfahrungen als «Anfängerin» in Bern erzählte sie der interessierten Runde.

Kiloweise Unterlagen
Barbara Gysi hat Erfahrung als Wi-
ler  Stadträtin  und  als  Kantonsrätin
und dennoch: «In Bern ist alles anders
und  ich  musste  von  vorne  beginnen»,
beschrieb  sie  ihre  Anfangsschwierig-
keiten  als  Nationalrätin.  Die  Regeln
seien anders, die Zusammenarbeit, die
Menschen, die Abläufe. «Ich gebe mir
Zeit, um mich einzuarbeiten; es ist ein
neuer  Job»,  sagte  sie  dazu.  Sie  gab  ei-
nen  Einblick  in  die  Vorbereitung  von
Geschäften,  reichte  Anschauungsmate-
rial wie die Vorschau zur Nationalrats-
Session herum oder die Übersicht über
die Verhandlungen, die nach der Session
herauskommt. Zurzeit laufen die Vorbe-
reitungen  für  die  Herbstsession.  Allei-
ne  während  der  Sommerferien  sei  eine
ganze Kiste Papier nach Hause gesandt
worden.  «Es  ist  unmöglich,  alles  zu  le-
sen», bekannte die Nationalrätin, die in
der Sommersession ihre ersten Voten im
Parlament  abgegeben  hat.  Sie  sortiere
nach Wochen, lasse gewisse Unterlagen
von  jemand  anderem  zusammenfassen
und  lese  gezielt  bestimmte  Informa-
tionen.  Ausserdem  könne  sie  sich  vom
Dokumentationsdienst  Unterlagen  zu
bestimmten  Themen  zusammenstellen
lassen.
Bald Berufspolitikerin
Barbara  Gysi  tritt  Ende  Jahr  als
Stadträtin von Wil zurück und wird aus-
schliesslich  als  Nationalrätin  arbeiten.
«Ich möchte dort, wo ich einen Auftrag
habe, die Arbeit möglichst gut machen»,
erklärte sie. Damit beantwortete sie auch
die Frage von Kantonsrat Donat Leder-
gerber, ob das Bundesparlament noch mi-
liztauglich sei. «Man kann nicht überall
alles richtig machen. Die Miliztauglich-
keit ist an der Grenze.» Sie erklärte, wie
die Fraktionssitzungen ablaufen oder die
Differenzbereinigungen. Am Beispiel der
Höhe des Preises für die Autobahnvignet-
te zeigte sie, dass Meinungsbildung ein

Prozess ist, der verschiedene Fakten be-
rücksichtigen muss, ein vernetztes Den-
ken verlangt und die Konsequenzen eines
Entscheides  überdacht  werden  müssen.
«Grundsätzlich bin ich der Meinung, die
Autobahnvignette  müsste  mindestens
100 Franken kosten, doch mit einem Ja
zu einem höheren Betrag, hätte ich ledig-
lich Ja zu höheren Einnahmen im Stra-
ssenfond gesagt, womit zusätzliche, von
uns  nicht  unterstützte  Strassen,  gebaut
werden könnten.»
Französisch gepaukt
Im  Parlament  hat  Barbara  Gysi  den
Platz  schon  zweimal  gewechselt.  Ak-
tuell  sitzt  sie  zwischen  Marina  Ca-
robbio  Guscetti  aus  dem  Tessin  und
dem Französisch sprechenden Walliser
Stéphane Rossini. Ihr Französisch hat
die  neue  St.Galler  Nationalrätin  üb-
rigens  während  der  Sommerferien  in
Frankreich  aufgefrischt  und  nächstes
Jahr  will  sie  nach  Paris,  um  es  noch
zusätzlich  zu  feilen.  «Es  ist  wichtig,
dass man auch reden kann und nicht
nur verstehen.» Ob Deutsch oder Fran-
zösisch, die gleiche politische Sprache
wird  in  Bern  natürlich  nicht  gespro-
chen. «Zu intensiven Debatten in der
Fraktion, wie auch im Rat führten die
Abkommen über die Abgeltungssteuer
mit Deutschland, Grossbritannien und
Österreich»,  nahm  Gysi  ein  aktuelles
Thema  auf.  Ziel  der  SP-Fraktion  sei,
dass  der  automatische  Informations-
austausch  komme.  Erschüttert  habe
sie die Debatte um das Asylgesetz und
Äusserungen und Qualifikationen von
Menschen. «Die humanitäre Tradition
der Schweiz wird in Frage gestellt und
die echten Probleme werden so kaum
gelöst»,  ist  die  Position  der  Wilerin.
Mehr Freude hatte sie hingegen an der
Einladung von Birdlife morgens um 6
Uhr auf die Bundeshausterrasse, wo es
«viele bunte Vögel» zu beobachten ge-
be. Damit erzählte sie auch von diver-
sen Einladungen, die die Parlamentari-
erinnen  und  Parlamentarier  erhalten.
«Die einen nehme ich an, andere nicht
und  einige  nach  dem  ersten  Besuch
nicht mehr.»